EuGH zum Designschutz für Ferrari-Karosserieteile ohne eigene Designanmeldung
Dass es einen Designschutz ganz ohne eigene Anmeldung gibt und dass sich der Schutz sogar auf die ganze EU erstreckt, dürfte vielen bekannt sein: Das „nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ bietet 3 Jahre lang Designschutz gegen Nachahmungen, ohne dass man dafür ein Schutzrecht anmelden müsste. Neu ist aber, dass dieser Designschutz nicht nur für das komplette veröffentlichte Erzeugnis gilt, sondern unter gewissen Voraussetzungen auch für Teile davon! Dies hat nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil zugunsten von Ferrari SpA entschieden:
Urteil vom 28.10.2021, C-123/20, Ferrari/Mansory
Sachverhalt
Ferrari SpA ist Hersteller von Renn- und Sportwagen. In einer Pressemitteilung vom 2. Dezember 2014 stellte Ferrari sein nur für den Rennsport zugelassenes Modell FXX K erstmals der Öffentlichkeit vor und verwendete dabei u.a. folgende Fotografie:
Mansory Design & Holding GmbH produziert und vertreibt Tuning-Bausätze, mit denen die Erscheinungsform eines anderen Ferrari mit Straßenzulassung so verändert werden kann, dass sie der des Ferrari FXX K nahekommt. Im März 2016 stellte Mansory Design ein so umgebautes Fahrzeug vor – das Pikante daran: Während der „Original-Ferrari“ nur auf der Rennstrecke benutzt werden darf, kann der umgebaute Ferrari von Mansory am normalen Straßenverkehr teilnehmen.
Ferrari wollte dies nicht akzeptieren und reichte gegen den Vertrieb dieser Karosserie-Bauteile Klage wegen Verletzung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters ein. Dabei argumentierte Ferrari, dass u.a. ein Teilbereich des in der Erstveröffentlichung gezeigten Modells FXX K geschützt sei, der sich zusammensetzt aus
- dem V-förmigen Element auf der Fronthaube,
- dem mittig aus diesem Element herausragenden und in Längsrichtung angeordneten flossenartigen Element (d. h. dem „Strake“),
- dem in die Stoßstange integrierten zweischichtigen Frontspoiler und
- dem mittigen vertikalen Verbindungssteg, der den Frontspoiler mit der Fronthaube verbindet.
Dieser Bereich werde als Einheit verstanden, die die individuellen „Gesichtszüge“ dieses Fahrzeugs bestimmt.
Erstinstanzlich beantragte Ferrari u.a. die Unterlassung der Herstellung der Anbauteile in der gesamten Europäischen Union und stellte Antrag auf Schadensersatzfeststellung. Das Landgericht Düsseldorf (Deutschland) wies die Klage insgesamt ab. Gegen diese Entscheidung legte Ferrari beim Oberlandesgericht Düsseldorf (Deutschland) Berufung ein, hielt dabei die Anträge auf Ersatz ihres Schadens aufrecht, musste aber ihre Unterlassungsanträge wegen des zwischenzeitlichen Ablaufs der Rechte am 3. Dezember 2017 (3 Jahre nach Erstveröffentlichung) für erledigt erklären. Das Berufungsgericht wies die Berufung von Ferrari zurück mit der Begründung, das beanspruchte Gemeinschaftsgeschmacksmuster habe nie bestanden; denn Ferrari habe nicht dargetan, dass die Mindestvoraussetzung einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form erfüllt gewesen ist.
Hiergegen legte Ferrari Revision zum Bundesgerichtshof (Deutschland) ein, der die Revision zuließ und die Auffassung vertrat, dass die Entscheidung darüber von der Auslegung der Verordnung Nr. 6/2002 und insbesondere davon abhängt, unter welchen Voraussetzungen die Erscheinungsform eines Teils eines Erzeugnisses gemäß dieser Verordnung als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt werden kann. Der Bundesgerichtshof (Deutschland) setzte das Verletzungsverfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof die Fragen zur Vorabentscheidung vor,
- ob durch die Offenbarung einer Gesamtabbildung eines Erzeugnisses auch nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einzelnen Teilen des Erzeugnisses entstehen können und
- welcher rechtliche Maßstab bei der Ermittlung des Gesamteindrucks im Falle eines Bauelements anzulegen sei, das – wie etwa ein Teil einer Fahrzeugkarosserie – in ein komplexes Erzeugnis eingefügt wird.
Entscheidung
Der EuGH weist in seinem Urteil darauf hin, dass es gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 formelle Voraussetzung für die Entstehung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters sei, dass es der Öffentlichkeit in der in Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Weise zugänglich gemacht wurde, indem es „in solcher Weise bekannt gemacht, ausgestellt, im Verkehr verwendet oder auf sonstige Weise offenbart wurde, dass dies den in der [Union] tätigen Fachkreisen des betreffenden Wirtschaftszweigs im normalen Geschäftsverlauf bekannt sein konnte“.
Dies gilt nach Auffassung des EuGH auch für Teile von Erzeugnissen, wobei es aber unabdingbar sei, dass bei dieser Offenbarung die Erscheinungsform dieses Teils klar erkennbar ist. Andernfalls können die Fachkreise nämlich nicht die in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 geforderte Kenntnis von dem betreffenden Teil des Erzeugnisses erlangen.
Allerdings bedeute das Erfordernis der Erkennbarkeit des Schutzgegenstands keine Pflicht für die Entwerfer, jeden einzelnen Teil ihrer Erzeugnisse, den sie durch ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt sehen möchten, gesondert zu offenbaren. Denn eine solche Pflicht liefe dem Ziel der Einfachheit und Schnelligkeit zuwider, das die Einführung des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters gerechtfertigt hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2014, Karen Millen Fashions, C-345/13, EU:C:2014:2013, Rn. 42).
Demzufolge stellt der Gerichtshof fest:
- Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist dahin auszulegen, dass, wenn Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, wie bei der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeugs, dies dazu führt, dass ein Geschmacksmuster an einem Teil dieses Erzeugnisses im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist.
- Damit geprüft werden kann, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.
Das vorlegende Gericht, also der Bundesgerichtshof, müsse nun im Ausgangsverfahren prüfen, ob diejenigen Merkmale der Geschmacksmuster, die die Teile der Karosserie des betreffenden Fahrzeugs bilden, die Voraussetzungen für den Schutz als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster erfüllen.
Folgen für die Praxis
Es ist zwar immer besser, für ästhetische Neuerungen ein Design bzw. Geschmacksmuster anzumelden, das bis zu 25 Jahre einen vergleichsweise umfassenden Schutz entfalten kann. Sollte man aber – absichtlich oder unabsichtlich – auf eine Anmeldung verzichtet haben, kann man trotzdem innerhalb von drei Jahren ab Erstveröffentlichung des entsprechenden Erzeugnisses hierfür einen Designschutz beanspruchen und gegen dessen Nachahmung vorgehen. Das Rechtsinstrument hierfür lautet „nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster“.
Nach der nun ergangenen Entscheidung erstreckt sich der Schutz des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nicht nur auf ein komplettes Erzeugnis, sondern u.U. auch auf Teile davon.
Voraussetzung für einen Schutz eines solchen Teils ist, dass die Erscheinungsform dieses Teils bei der Erstveröffentlichung eindeutig erkennbar ist und dieser Teil einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses darstellt, der klar durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur abgegrenzt ist.
Dabei ist besonders bemerkenswert: Anders als bei einem eingetragenen Design (bzw. Geschmacksmuster), bei dem man für jeden beanspruchten Gegenstand ein separates Schutzrecht anmelden muss, erhält man durch die Erstveröffentlichung eines Erzeugnisses unter Umständen gleichzeitig mehrere nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster – für das komplette Erzeugnis und für eindeutig erkennbare, klar abgegrenzte Teile davon.
Bildquelle: Ferrari Press release 2 December 2014: „WORLD PREMIERE OF THE FXX K AT THE FERRARI FINALI MONDIALI IN ABU DHABI“
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Dietrich Blumenröhr
Patentanwalt