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Chanel muss um Bekanntheit der Marke Coco kämpfen

Februar 2024

Die Kennzeichnungskraft einer Marke bzw. deren Bekanntheit ist ein wichtiger Faktor bei der Feststellung von Verwechslungsgefahr in einem Widerspruchsverfahren. CHANEL tat sich im Verfahren COCO vs HiCoco schwer, eine erhöhte Unterscheidungskraft und Bekanntheit seiner Marke nachzuweisen. Mit Hilfe der Ausnahme-Rechtsfigur „selbständig kennzeichnende Stellung“ gelang es CHANEL zumindest für die Ware „Parfüm“ Verwechslungsgefahr nachzuweisen.

Sachverhalt

Am 6. März 2020 wurde die Eintragung der deutschen Wortmarke „HiCoco“ für die Waren der Klasse 3 (u. a. „Körperpflegemittel; Mundpflegemittel; Parfümerien und Düfte“) und für die entsprechenden Großhandels- sowie Einzelhandelsdienstleistungen in Klasse 35 beantragt.

CHANEL erhob Widerspruch gegen die Eintragung aus der IR-Marke „COCO“, die für identische Waren und Dienstleistungen eingetragen ist. Dabei machte CHANEL eine erhöhte Unterscheidungskraft und Bekanntheit seiner Marke geltend und berief sich u. a. auf eine Umfrage aus dem Jahr 2015 zu der Marke COCO CHANEL und behauptete, dass 77 % der Befragten in Deutschland die Marke wiedererkennen würden.

Das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) wies den Widerspruch zurück. CHANEL legte Beschwerde ein.

Entscheidung des BPatG

Die Richter des BPatG verneinten eine unmittelbare Verwechselbarkeit der Marken, selbst für identische Waren.

Die Kennzeichnungskraft der älteren Marke COCO sei wegen ihres beschreibenden Charakters von Haus aus weit unterdurchschnittlich. Das englische Wort „COCO“ würde als gebräuchliche Angabe zu Inhaltstoffen und Duft und damit beschreibend für Waren der Klasse 3, einschließlich Kosmetika und Parfümerien, angesehen. Folglich sei der Schutzbereich der älteren Marke sehr eng.

Die Behauptung von CHANEL, die Marke habe eine zumindest durchschnittliche Unterscheidungskraft durch Benutzung erworben, wurde zurückgewiesen. Die oben erwähnte Studie aus dem Jahr 2015 wurde nicht berücksichtigt, da sie die Verwendung von „COCO“ nicht isoliert, sondern zusammen mit dem Wort „CHANEL“ zeigte.

CHANEL legte im Beschwerdeverfahren eine neue Umfrage zur Bekanntheit der Marke „COCO“ aus dem Jahre 2023 vor. Die Umfrage wurde in Bezug auf „Kosmetika“ durchgeführt. Die Richter waren der Ansicht, dass dieser Begriff zu weit gefasst sei und zu viele verschiedene Waren umfasse, um Gegenstand einer verwertbaren Umfrage zu sein.

Angaben zu

  • der Eigenschaften, die die Marke von Haus aus besitzt, 
  • dem von der Marke gehaltene Marktanteil, 
  • der Intensität der Nutzung, 
  • der geografischen Verbreitung, 
  • der Dauer der Benutzung der Marke, 
  • dem Werbeaufwand des Unternehmens 

seien nicht von der Widersprechenden vorgetragen worden, sodass keine Feststellungen zu einer die Kennzeichnungsschwäche überwindenden Verkehrsbekanntheit möglich sei.

Das Gericht sah es jedoch als bekannt an, dass das Zeichen „COCO“ seit Jahrzehnten intensiv für Parfüms zusammen mit dem Wort „CHANEL“ verwendet wird. Die vorgelegten Unterlagen reichten lediglich aus, der Widerspruchsmarke in Bezug auf die Ware „Parfüm“ unterdurchschnittliche (statt weit unterdurchschnittlich) Kennzeichnungskraft zuzubilligen.

Im Zeichenvergleich sah das Gericht aufgrund des zusätzlichen Bestandteils „Hi“ in der angefochtenen Marke ausreichende Unterschiede in der Wortlänge, der Silbenzahl, der Vokalfolge sowie dem Sprachrhythmus und der Intonation. Die Unterschiede beträfen auch insbesondere den Anfang der Zeichen, dem die Verbraucher mehr Aufmerksamkeit schenkten.

Der Gesamteindruck der angefochtenen Marke könne auch nicht durch den Bestandteil „Coco“ dominiert werden, da dieser beschreibend sei und die Verbraucher diesem lediglich eine inhaltliche Sachaussage entnähmen, ohne darin eine Marke zu erkennen. Dies gelte auch, soweit die Widerspruchsmarke für „Parfüm“ etwas an Kennzeichnungskraft gewonnen habe. Diese geringe Kennzeichnungskraft reiche aber nicht aus.

Auch trete der Bestandteil „Hi“ in der jüngeren Marke nicht derart hinter dem gemeinsamen Bestandteil „Coco“ zurück, als dass der Verbraucher diesen nicht wahrnehmen würde. Alle Bestandteile seien daher gleichmäßig zu berücksichtigen.

Die Ähnlichkeit der Zeichen sei daher allenfalls unterdurchschnittlich.

Ausgehend von dem Grundsatz, dass der Gesamteindruck entscheidend ist, wurde die bloße Tatsache, dass die ältere Marke vollständig in der jüngeren Marke enthalten ist, vom Bundespatentgericht nicht als ausreichend angesehen, um eine unmittelbare Verwechslung festzustellen.

Der Senat des BPatG bejahte jedoch eine mittelbare Verwechslungsgefahr der beiden Marken, zumindest für die Waren „Parfüm“.

Nach der Rechtsprechung des EuGH und des BGH ist es durchaus möglich, dass ein Zeichen, das in eine zusammengesetzte Marke aufgenommen wird, eine selbständig kennzeichnende Stellung besitzt, ohne dass es die zusammengesetzten Kennzeichnung dominiert oder prägt.

Bei Identität oder Ähnlichkeit dieses selbständig kennzeichnenden Bestandteils könne Verwechslungsgefahr gegeben sein, wenn dadurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck hervorgerufen werden könne, dass die fraglichen W/DL zumindest aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammten. 

Maßgebend sei, ob der Bestandteil im Gesamtgefüge der jüngeren Marke selbständig hervortrete und in dem angegriffenen Kombinationszeichen wie eine „Marke in der Marke“ erscheine.

Voraussetzungen hierfür seien zudem: 

  • beide Marken begegnen sich auf identischen oder hochgradig ähnlichen Waren
  • die ältere Marke muss eine selbständig kennzeichnende Stellung in der jüngeren Kombinationsmarke einnehmen, dh sie muss identisch übernommen worden sein
  • der übrigen Bestandteile ist kein Firmenschlagwort, bekannte Marke oder Bestandteil einer Markenserie
  • die Kennzeichnungskraft der älteren Marke muss mindestens gering sein (ältere Rechtsprechung: mindestens durchschnittlich; z. B. EuG, T-102/14, Rn. 50 und T-755/20, Rn. 53 und EuGH, C-120/04, Rn. 37)
  • bei beschreibenden Angaben ist daher nur dann Herkunftshinweis möglich, wenn aufgrund Benutzung erweiterten Schutzumfang entstanden ist.

Zwar habe die Widerspruchsmarke insoweit ihre originär weit unterdurchschnittliche Kennzeichnungskraft nicht in Richtung einer nach der Einteilung der Kennzeichnungsgrade durch den BGH als „durchschnittlich“, sondern lediglich als „unterdurchschnittlich“ zu bewertenden Kennzeichnungskraft überwunden, es könne jedoch auch ein unterdurchschnittlich kennzeichnungskräftiges Zeichen Schutz gegen eine identische (oder ähnliche) Übernahme im Sinne einer selbständig kennzeichnenden Stellung im Rahmen einer jüngeren Zeichenkombination beanspruchen.

Die hier vorliegenden Umstände würden das Publikum zu der Annahme verleiten, dass „HiCoco“ eine separate Produktlinie der Parfümmarke „COCO“ sei. 

Es bestünde somit eine mittelbare Verwechslungsgefahr aus selbständig kennzeichnender Kennzeichnung, jedoch nur hinsichtlich der Waren „Parfüm“ und „Parfümeriewaren und Duftstoffe“, bei denen es sich auch um „Parfüm“ handele.

Die angegriffene Marke unterliegt daher insoweit der Löschung.

Tenor des Verfassers
  • Bei dem demoskopischen „Bekanntheitsgrad“ handelt es sich nur um ein Kriterium zur Bestimmung der Bekanntheit eines Zeichens iS von § 9 Abs.1 Nr. 3 MarkenG. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind bei der Prüfung der Bekanntheit alle relevanten Umstände des Falls zu berücksichtigen, insbesondere der Marktanteil der Marke, die Intensität, geographische Ausdehnung und Dauer ihrer Benutzung sowie der Umfang der Investitionen zu ihrer Förderung.
  • Da das EuG in einem ähnlichen CHANEL-Fall ganz anders entschied, kann man sich seiner Bekanntheit nie sicher sein (COCO vs INCOCO, EuG, T-196/20).
  • Unter besonderen Umständen kann auch ein unterdurchschnittlich kennzeichnungskräftiges Zeichen Schutz gegen eine identische (oder ähnliche) Übernahme im Sinne einer selbständig kennzeichnenden Stellung im Rahmen einer jüngeren Zeichenkombination beanspruchen.
Folgen für die Praxis

Essentiell für die Verteidigung einer älteren Marke ist zum einen der Nachweis der Benutzung und zum anderen die Anerkennung der Kennzeichnungskraft zu einem möglichst hohen Grad. Passgenaue Gutachten, das Sammeln von Daten zur Eigenschaft der Marke, Marktanteil, Intensität der Nutzung, geographischer Verbreitung, Dauer der Benutzung und Werbeaufwand sind deshalb hilfreich. Nuancen im Grad der Kennzeichnungskraft können entscheidend sein.

Bildquelle: CHANEL
Urteil: BPatG, Urteil vom 0.11.2023- 30 W (pat) 70/21

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Gracia-Regina Blumenröhr

Gracia-Regina Blumenröhr Legal Counsel, Trademark Officer, Business Development

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