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Einstweilige Verfügung bei Verletzung von Patenten

Oktober 2022

Der EuGH erteilt der deutschen Rechtspraxis eine Absage, den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen ein Patent daran zu knüpfen, ob dieses bereits ein Bestandsverfahren in einer Instanz überstanden hat.

EuGH Europäischer Gerichtshof ECJ
Urteil des EuGH C-44/21 vom 28. April 2022
Sachverhalt

Der einstweilige Rechtsschutz ist ein effektives Mittel zur zumindest schnellen Beseitigung einer störenden Handlung. Die Schnelligkeit ist hierbei oft ein entscheidender Gesichtspunkt zur Durchsetzung eines Anspruchs, auch bei der Verletzung eines Patents durch einen Dritten. 

Zur Erlangung einer einstweiligen Verfügung in Patentstreitsachen braucht es neben einem Verfügungsanspruch, der sich aus der Verletzung eines Patents durch einen Dritten ergibt, auch einem Verfügungsgrund. Beim Verfügungsgrund spielt neben der Dringlichkeit bzw. der wesentlichen Erschwerung der Rechtsdurchsetzung durch den Antragssteller ohne einstweiligen Rechtsschutz auch die Frage einer Verletzung des Schutzbereiches und der Rechtsbestand des Patents eine wesentliche Rolle, welche jeweils bei der richterlichen Abwägung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt sein müssen. 

Der Rechtsbestand eines Patents wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung bis auf wenige Ausnahmen bislang als ausreichend wahrscheinlich angesehen, wenn das Patent bereits ein zweiseitiges Bestandsverfahren (Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren) in der ersten Instanz erfolgreich überstanden hatte. Die bloße Erteilung eines Patents durch das Amt, auch wenn kein Einspruch fristgerecht eingelegt wurde, wurde seitens der Obergerichte meist nicht anerkannt für einen hinreichend wahrscheinlichen Rechtsbestand. Diese Auffassung der Obergerichte stand vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Patente ein zweiseitiges Bestandsverfahren nicht unbeschadet übersteht und der Schutzumfang im Bestandsverfahren oft zumindest teilweise eingeschränkt wird. 

Bislang einstweilige Verfügung nur nach zweiseitigen Bestandsverfahren:

In der Praxis durchläuft jedoch nur ein geringer Bruchteil der erteilten Patente ein Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren. Hinsichtlich der bisherigen Rechtspraxis kamen daher Zweifel seitens des Landgerichtes in einem Verfügungsverfahren auf, insbesondere im Hinblick auf die Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 („Enforcement“-Richtlinie), nach welcher die Gerichte einstweilige Schutzmaßnahmen anordnen können, um eine Verletzung des geschützten Gegenstandes zu unterbinden/untersagen. Demnach sollen gerade einstweilige Maßnahmen dazu dienen, weiteren Schaden frühzeitig abzuwenden, was jedoch durch die obergerichtliche Rechtsprechung zweifelhaft erschien. Daher wurde die Frage des Erlasses von einstweiligen Maßnahmen mit Blick auf die obergerichtliche Rechtsprechung seitens des Landgerichtes an den EuGH vorgelegt.

Entscheidung des EuGH

Der EuGH erteilte in seinem Urteil (C-44/21 vom 28. April 2022) der deutschen Rechtspraxis eine Absage. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung in einem Patentstreitverfahren darf nach Ansicht des EuGHs nicht grundsätzlich daran geknüpft werden, ob das Patent bereits ein Rechtsbestandsverfahren in einer Instanz überstanden hat. Die bisherige Rechtspraxis führe zu einer verstärkten Benachteiligung von Patentinhabern. 

In seiner Begründung führt der EuGH unter anderem an, dass die Enforcement-Richtlinie einen nationalen Mindeststandard für die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums festschreiben und gerade wirksame Rechtsbehelfe in der Union bieten soll, um jede Verletzung eines bestehenden Rechts, vorliegend eines erteilten Patents, zu verhüten, abzustellen oder zu beheben. Demnach wäre ein nationales Verfahren nahezu wirkungslos, wenn die bisherige obergerichtliche Rechtspraxis zu Grunde liegen würde, da hierdurch die Durchsetzung des bestehenden Rechts deutlich gehemmt wird. Zudem ist es gerade eine Aufgabe der Enforcement-Richtlinie ein hohes und einheitliches Schutzniveau in der Union zu ermöglichen, was jedoch der bisherigen Rechtspraxis entgegensteht. 

Es muss nach dem EuGH grundsätzlich möglich sein auch in einem Verfügungsverfahren ein Patent durchzusetzen, um zu einem einstweiligen Rechtsschutz zu gelangen, ohne dass dieses ein zweiseitiges Bestandsverfahren durchlaufen habe. Dem Patentinhaber ist durch die nationale unionskonforme Rechtauslegung ein entsprechender Schutz auch im einstweiligen Verfügungsverfahren zu gewähren, da insbesondere in diesem Verfahren der zeitliche Rahmen eine wichtige (und manchmal auch entscheidende) Rolle spielt. 

Zur Absicherung des Antragsgegners hat der Gesetzgeber dem Gericht auch bereits mögliche Maßnahmen bereitgestellt, beispielsweise durch die Möglichkeit der Anordnung von Sicherheitsleistungen oder von Schadensersatz bei späterer Aufhebung der Verfügung. Auf Grund des vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit im einstweiligen Rechtsschutz erfolgt der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Patentstreitsachen oft auch nur noch nach der Durchführung einer Anhörung der Parteien. Hierbei hat auch der Antragsgegner noch die Möglichkeit zum Rechtsbestand des Streitpatents vorzutragen und somit den Rechtsbestand fraglich erscheinen zu lassen, um den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verhindern. 

Folgen für die Praxis

Die bisherige nationale Rechtspraxis führte zu einer verstärkten Benachteiligung von Patentinhabern. Der EuGH hat nun die Rechte von Inhabern geistigen Eigentums gestärkt, ihre Ansprüche mit Hilfe der einstweilige Verfügung – ohne das bisher erforderliche erstinstanzliche Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren – schneller durchzusetzen.

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Fotoquelle: EuGH

Dr. Philipp Ganz

Dr. Philipp Ganz Patentanwalt

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