Einheitspatent ante portas!
Eine jahrelange Hängepartie ist vorbei: Was Patentanmelder und -inhaber jetzt im Zusammenhang mit dem neuen Einheitlichen Patentgericht und dem Europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung beachten sollten.
Wie berichtet, hatte das Bundesverfassungsgericht letztes Jahr den Weg für den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Schaffung eines einheitlichen Patentgerichts (Unified Patent Court – UPC) freigemacht. Deutschland hat das Abkommen inzwischen ratifiziert, wartet jedoch in internationaler Abstimmung mit dem letzten Formalakt, der Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde, bis die derzeit laufenden vorbereitenden Arbeiten für das einheitliche Patentgericht abgeschlossen sind, um das Gericht durch Auswahl und Ernennung der Richter und letzte Arbeiten an den Verfahrensvorschriften arbeitsfähig zu machen. Dies wird derzeit für die zweite Jahreshälfte 2022 erwartet.
Drei Monate später, genauer am ersten Tag des vierten darauffolgenden Monats, startet das europäische Einheitspatent.
Wie erhält man ein Europäisches Einheitspatent?
Das europäische Einheitspatent – im Fachterminus das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung – wird wie das bisherige Europäische Patent vom Europäischen Patentamt (EPA) erteilt. Statt einer Validierung in einzelnen europäischen Mitgliedsländern kann der Patentinhaber innerhalb von einem Monat nach Erteilung eines europäischen Patents einen Antrag auf einheitliche Wirkung stellen, mit dem außerdem eine Übersetzung der Patentschrift ins Englische, oder wenn das Europäische Patent auf Englisch erteilt ist, ins Deutsche oder Französische einzureichen ist.
Das Einheitspatent gilt dann automatisch aber nur für alle EU-Länder, die zum Erteilungszeitpunkt bei der zugrundeliegenden EU-Verordnung und dem Gerichtsabkommen mitmachen. Derzeit sind dies 17 EU-Staaten, darunter neben Deutschland: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Frankreich, Italien, Lettland, Litauen, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Slowenien. Polen, Tschechien, Irland, Griechenland, Zypern, Ungarn, Rumänien und die Slowakei haben das Abkommen noch nicht ratifiziert, werden aber wahrscheinlich nach und nach folgen. Spanien und Kroatien nehmen an der verstärkten Zusammenarbeit, die Grundlage für das Einheitspatent ist, nicht teil, können dieser jedoch später noch beitreten. Wenn in einem dieser Länder Schutz nachgesucht wird, muss daher bis auf Weiteres wie bisher eine Validierung beim jeweiligen nationalen Amt durchgeführt und die national vorgeschriebene Übersetzung eingereicht werden. Nicht-EU-Mitglieder wie die Schweiz, Großbritannien, Norwegen und die Türkei sind vom europäischen Einheitspatent ausgeschlossen, sodass es für diese Länder nur bei der Möglichkeit einer nationalen Validierung bleibt.
Ab wann können Europäische Einheitspatente erhalten werden?
Einheitspatente können nicht nur für zukünftige europäische Patentanmeldungen erhalten werden, sondern werden auch für alle zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gerichtsabkommens noch im Prüfungsverfahren befindlichen Patentanmeldungen gleichermaßen erhältlich sein.
Leider steht der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht fest.
Das Europäische Patentamt hat eine Übergangsmaßnahme beschlossen, die es Patentanmeldern ermöglicht, nach Erhalt einer Mitteilung des Patentamts über die Erteilungsabsicht (sog. Mitteilung nach Regel 71 (3) EPÜ) zu beantragen, dass die Erteilung erst nach Inkrafttreten des Gerichtsabkommens erfolgen soll (aufgeschobene Erteilung) und einen frühen Antrag auf einheitliche Wirkung zu stellen. Auch diese Übergangsmaßnahme greift aber erst nach Hinterlegung der deutschen Ratifizierungsurkunde. Wesentlich wird also sein, dass die viermonatige Frist der Regel 71 (3) EPÜ für die Zustimmung des Anmelders zur für die Erteilung vorgesehen Fassung und Einreichung von Anspruchsübersetzungen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen ist.
Derzeit erwartet man den Hinterlegungszeitpunkt für Juli 2022. Es könnten somit bereits Einheitspatente aufgrund europäischer Patentanmeldungen erhalten werden, für die im März eine Mitteilung über die Erteilungsabsicht ergeht. Sollte sich die Hinterlegung der Ratifizierungsurkunde durch die Bundesrepublik Deutschland weiter verzögern, so könnte auch der Anmelder seine Zustimmung zur für die Erteilung vorgesehen Fassung verzögern, entweder durch verspätete Zustimmung unter Entrichtung einer zusätzlichen Weiterbehandlungsgebühr, oder indem noch Änderungen oder Berichtigungen an der zur Erteilung vorgesehenen Fassung beantragt werden.
Welche Gerichte werden für das Einheitspatent zuständig sein?
Für Klagen wegen Patentverletzung und Klagen auf Nichtigerklärung eines Einheitspatents ist das Einheitliche Patentgericht (UPC) zuständig. Dieses hat Zentralkammern in Paris und München, verschiedene Lokal- und Regionalkammern in den Mitgliedsstaaten und ein zentrales Beschwerdegericht in Luxemburg.
Mit einem einzigen Verfahren kann ein Einheitspatent vor dem UPC in allen EU-Staaten, für die das Patent eingetragen ist, durchgesetzt werden. Allerdings kann das Einheitspatent auch in einem einzigen zentralen Nichtigkeitsverfahren für alle teilnehmenden EU-Staaten vernichtet werden.
Alternative Bündelpatent
Für die kommenden 7 Jahre hat der Patentinhaber alternativ zum Einheitspatent die Wahl, weiterhin in ausgewählten Mitgliedsstaaten eine Validierung vorzunehmen und die Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts für sein Patent auszuschließen („Opt-Out“). In diesem Fall ändert sich für das Europäische Patent am Status quo nichts: Der Patentinhaber erhält wie bislang ein Bündel nationaler Schutzrechte, für die weiterhin die nationalen Gerichte in den jeweiligen Mitgliedsstaaten zuständig sind – und zwar sowohl was die Durchsetzung des Patents gegen Patentverletzer als auch was den Angriff gegen den Bestand des jeweiligen nationalen Teils des europäischen Patents etwa durch ein Nichtigkeitsverfahren betrifft.
Was kostet das Einheitspatent?
Jahresgebühren für das Einheitspatent sind an das Europäische Patentamt zu entrichten. Die Gebührenstruktur ist so gewählt, dass die Aufrechterhaltungskosten in etwa den Kosten für die sogenannten Top vier Länder Deutschland, Frankreich, Italien und die Niederlande entsprechen. Nationale Übersetzungserfordernisse bei der Validierung entfallen, dafür muss eine englische Vollübersetzung beim Europäischen Amt eingereicht werden. Man wird daher in der Regel ab etwa 5 Ländern mit einem Einheitspatent günstiger als mit einem Bündelpatent fahren und erhält dafür Schutz in allen teilnehmenden (derzeit 17) EU-Staaten.
Allerdings entfällt die Möglichkeit wie beim Bündelpatent, in späteren Jahren das Einheitspatent zur Kosteneinsparung in einzelnen Ländern fallen zu lassen und nur in ausgewählten Ländern zu verlängern. Es gilt der Grundsatz alle oder keines!
Die Qual der Wahl: Einheitspatent oder Bündelpatent?
Einheitspatent und bisheriges Bündelpatent schließen sich für die teilnehmenden EU-Staaten gegenseitig aus. Bei der Entscheidung, ob ein Einheitspatent beantragt oder ein Bündelpatent wie bisher angestrebt werden soll, ist Sorgfalt geboten. Neben möglichen Kostenvorteilen bei der Erteilung muss berücksichtigt werden, dass auf der anderen Seite für Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren mit erheblich höheren Prozesskosten zu rechnen ist.
Zudem besteht für das Einheitliche Patentgericht (UPC) noch keine gefestigte, vorhersagbare Rechtsprechungspraxis, sodass Anwender mit einer höheren Unsicherheit in einen Verletzungsprozess gehen. Mit einem einzigen Verfahren könnte das Einheitspatent zudem EU-weit vernichtet werden, was vor dem Hintergrund noch ungefestigter Rechtsprechung ein erhöhtes Risiko für Patentinhaber bedeutet. Gerade für sehr wichtige Patente könnte es daher eine Überlegung sein, diese vorläufig nicht als Einheitspatente erteilen zu lassen. Wir beraten Sie hierzu gerne.
Dagegen entfällt für Einheitspatente das bisher geltende Doppelschutzverbot: Ein national z.B. vom Deutschen Patent- und Markenamt erteiltes Patent kann parallel zu einem europäischen Einheitspatent in Kraft stehen und durchgesetzt werden. Eine weitere Überlegung könnte daher sein, eine deutsche Ursprungsanmeldung parallel zu einer europäischen Nachanmeldung zur Erteilung zu führen. Dies könnte zumindest in solchen Fällen sinnvoll sein, in denen der deutsche Prüfer einen Gegenstand bereits für schutzfähig erachtet hat, sodass eine rasche Erteilung in Aussicht steht und die Gefahr zuwiderlaufender Entscheidungen des deutschen und europäischen Patentamts vermieden wird. Mit einem Einheitspatent und einem parallelen nationalen deutschen Patent behält der Patentinhaber die Wahl, ob er das Einheitspatent vor dem UPC durchsetzt, oder aus dem deutschen Patent vor einem nationalen Gericht klagt.
Was ist mit in der Vergangenheit erteilten Europäischen Patenten?
Es mag überraschen: auch für alle älteren Europäischen Patente gilt das Gerichtsabkommen! Das heißt, ohne weitere Vorkehrungen wird auch für längst erteilte Europäische Patente das Einheitliche Patentgericht zuständig und Verletzungsklagen können für alle Mitgliedsstaaten, für die das Europäisches Patent noch in Kraft ist, einheitlich durchgesetzt werden.
Will man dies aus den obengenannten Gründen vermeiden und den Status quo für einzelne oder alle Europäischen Patente beibehalten, besteht die Möglichkeit, die Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts (UPC) abzuwählen („Opt-Out“). Ein solcher Opt-Out kann bereits vorsorglich mit Inkrafttreten des Gerichtsabkommens erklärt werden oder auch zu einem späteren Zeitpunkt, solange gegen ein Patent jedoch noch keine Nichtigkeitsklage vor dem UPC anhängig ist. Entscheidet man sich vorsorglich, für einzelne wichtige oder alle seine Europäischen Patente einen Opt-Out zu erklären, so ist die Türe zum UPC damit dennoch nicht versperrt: Solange aus einem Patent noch keine Klage bei einem nationalen Gericht anhängig ist, kann der Patentinhaber jederzeit wieder einen Opt-In erklären und das Gerichtsabkommen für sein Patent damit wieder „scharf schalten“.
Aus unserer Sicht dürfte auf absehbare Zeit ein Patentverletzungsverfahren vor nationalen deutschen Gerichten der für Patentinhaber kostengünstigere, einfachere und vor allem risikoärmere Weg sein, ihre Patente durchzusetzen. Wir empfehlen daher für bestehende Europäische Patente einen vorsorglichen Opt-Out zu erwägen, zumindest jedoch bevor ein Patent gegenüber Wettbewerbern geltend gemacht wird, einen Opt-Out zu prüfen.
Zu den Vor- und Nachteilen und den mit einem Opt-Out verbundenen Kosten beraten wir Sie gerne.
Stefan Urlichs
Patentanwalt