Darlegungslast im Verfallsverfahren wegen Nichtbenutzung einer Marke
Stehen die nationalen Regelungen der Darlegungs- und Beweislast im Verfallsverfahren vor den ordentlichen Gerichten den EU-Richtlinien entgegen?
Urteil des EuGH vom 10.03.2022, C-183/21, Nachweis ernsthafter Benutzung, nationale Vorschriften vs. EU-Richtlinien
Sachverhalt:
Die Maxxus Group hatte beim Landgericht Saarbrücken darauf geklagt, dass eine Wortmarke sowie eine Bildmarke der Firma Globus Holding GmbH & CO. KG. für verfallen erklärt werden. Beide Marken hatte Globus Holding GmbH & Co. KG im Jahr 1996 beim Deutschen Patent- und Markenamt eintragen lassen.
Die Maxxus Group begründete ihre Klage damit, dass die Globus Holding beide Marken in den letzten fünf Jahren nicht rechtserhaltend genutzt habe. Dies hätten Online-Recherchen, auch auf der Internetseite von Globus, ergeben. Zudem hatte die Maxxus Group eine Detektei mit Recherchen beauftragt.
Die Globus Holding hielt dem entgegen, sie habe die beiden in Rede stehenden Marken rechtserhaltend benutzt.
Grundsätzlich kann eine Marke gemäß der EU-Markenrechtsrichtlinien für verfallen erklärt werden, wenn sie innerhalb von fünf Jahren „in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.“
Das Landgericht Saarbrücken sah sich daher mit der Frage konfrontiert, ob die Markeninhaberin Globus Holding konkrete Nachweise darüber erbringen muss, dass und wie sie die Marken rechterhaltend genutzt hat, oder ob es viel mehr an der Klägerin Maxxus Group ist, detailliert nachzuweisen, dass diese Marken nicht benutzt wurden.
Nach der deutschen Rechtsprechung sind in zivilrechtlichen Nichtigkeitsklagen die allgemeinen Grundsätze des Zivilprozessrechts anzuwenden. Diese unterscheiden zwischen Darlegungs- und Beweislast:
Die Darlegungslast zwingt die Partei, ihren Vortrag so konkret wie möglich zu halten. Kommt sie dieser Darlegungslast nicht nach, verliert sie den Prozess. Das deutsche Prozessrecht legt der beklagten Partei außerdem eine sekundäre Darlegungslast auf. Jeder Partei obliegt es, Erkundigungen im eigenen Wirkungskreis einzuholen. Diese unterschiedlichen Lasten und Obliegenheiten sind von der Beweislast zu unterscheiden. Die Darlegungslast unterscheidet sich insofern von der Beweislast, als jede Partei die ihr bekannten oder mit zumutbarem Aufwand recherchierbaren Tatsachen vortragen muss.
Im Fall einer Löschungsklage wegen Nichtbenutzung würde demnach die klagende Partei die Beweislast für eine nicht erfolgte Handlung – nämlich ihre fehlende Benutzung – tragen, was erfahrungsgemäß äußerst schwierig ist.
Der Markeninhaber aber wäre nur verpflichtet, substantiiert und umfassend darzulegen, wie er die Marke benutzt hat, ohne jedoch den Nachweis dafür erbringen zu müssen. Der Beklagte würde demnach nur die sogenannte sekundäre Beweislast tragen, da der Angreifer regelmäßig keine Einblicke in die internen Geschäftsabläufe des Markeninhabers hat.
Der EuGH hat die Beweislast jedoch in diesen Verfahren dem Markeninhaber zugeschrieben:
In dem viel beachteten sogenannten Ferrari-Urteil hat der EuGH klargestellt, dass die EU- Markenrechtsrichtlinie so auszulegen ist, dass die Beweislast in Verfahren, in denen es um die Frage einer ernsthaften Benutzung eines Zeichens geht, den Markeninhaber trifft. In diesem Urteil ging es ebenfalls um den Konflikt zwischen nationalen Verfahrensbestimmungen zur Darlegungs- und Beweislast und der markenrechtlichen Formulierung der Verfallsgründe auf Unionsebene. Die Luxemburger Richter stellten damals klar, dass Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 2008/95 dahin auszulegen ist, dass die Beweislast dafür, dass die Marke im Sinne dieser Bestimmung „ernsthaft benutzt“ worden ist, den Markeninhaber trifft.
In Anwendung dieses Urteils ging das Landgericht Saarbrücken davon aus, dass auch im vorliegenden Fall die Beweislast dafür, dass eine Marke „ernsthaft benutzt“ wurde, den Markeninhaber treffe. Es nahm jedoch an, dass die nach deutschem Recht von der Beweislast abzugrenzende Darlegungslast nicht den Markeninhaber treffe, sondern denjenigen, der die Marke löschen lassen will. Um sich in dieser Annahme abzusichern, richtete es zwei Fragen an den EuGH:
Ist Unionsrecht bezüglich der Richtlinie 2008/95, insbesondere in Art. 12, bzw. der Richtlinie 2015/2436, insbesondere in Art. 19, dahin gehend auszulegen, dass der nützliche Effekt dieser Normen eine Auslegung des nationalen Prozessrechts verbietet,
a) die dem Kläger in einem auf Löschung einer nationalen eingetragenen Marke wegen Verfalls durch Nichtbenutzung gerichteten Zivilverfahren eine von der Beweislast zu unterscheidende Darlegungslast auferlegt und
b) die es im Rahmen dieser Darlegungslast dem Kläger auferlegt,
- die Nichtbenutzung der Marke durch den Beklagten in einem solchen Verfahren substantiiert vorzutragen, soweit es ihm möglich ist, und
- dazu eine eigene Recherche am Markt vorzunehmen, die dem Löschungsbegehren und der Eigenart der betroffenen Marke angemessen ist?
Entscheidung des EuGH:
Der Europäische Gerichtshof beantwortet diese Vorlagefrage nun wie folgt:
- Es ist festzustellen, dass die Frage der Beweislast für die ernsthafte Benutzung im Sinne von Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2436 im Rahmen eines die Löschung einer Marke wegen Nichtbenutzung betreffenden Verfahrens keine in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallende Verfahrensbestimmung darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 22. Oktober 2020, Ferrari, C 720/18 und C 721/18, EU:C:2020:854, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).
- Würde sich diese Frage nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten richten, könnte sich daraus nämlich für die Markeninhaber ein je nach dem betroffenen Recht unterschiedlicher Schutz ergeben, so dass das im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2436 genannte und, wie es dort heißt, „unbedingt“ zu gewährleistende Ziel, dass die Marken „im Recht aller Mitgliedstaaten einen einheitlichen Schutz genießen“, nicht erreicht würde.
- Außerdem bringt der Grundsatz, wonach der Nachweis ihrer ernsthaften Benutzung dem Inhaber der Marke obliegt, in Wirklichkeit lediglich zum Ausdruck, was die Vernunft und ein elementares Erfordernis der Verfahrenseffizienz gebieten. Der Inhaber der streitigen Marke ist nämlich am besten in der Lage, den Beweis für die konkreten Handlungen zu erbringen, die das Vorbringen zu stützen vermögen, dass seine Marke ernsthaft benutzt worden sei.
- Daraus folgt, dass Art. 19 der Richtlinie 2015/2436 dahin auszulegen ist, dass den Inhaber einer Marke die Beweislast dafür trifft, dass die Marke im Sinne dieser Bestimmung „ernsthaft benutzt“ worden ist.
- Zwar entbindet der Umstand, dass die klagende Partei in einem bestimmten Verfahren nicht die Beweislast tragen muss, diese Partei nicht zwangsläufig von der Obliegenheit, in ihrer Klageschrift den Sachverhalt, auf den sie ihre Ansprüche stützt, umfassend darzulegen.
- Jedoch geht aus Art. 19 der Richtlinie 2015/2436 hervor, dass ein Antrag auf Erklärung des Verfalls einer Marke auf der Grundlage dieser Bestimmung darauf beruht, dass geltend gemacht wird, ihr Inhaber habe die Marke nicht ernsthaft benutzt. Eine solche Behauptung eignet sich ihrer Natur nach nicht für eine detailliertere Darstellung.
- Hierzu ist festzustellen, dass die vom vorlegenden Gericht in Betracht gezogene nationale Verfahrensregel über eine bloße Obliegenheit der klagenden Partei, den ihrer Klage zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend darzulegen, hinausgeht.
- Mit einer solchen Regel würde somit, zumindest teilweise, die Beweislast für die Benutzung oder Nichtbenutzung der betreffenden Marke der klagenden Partei auferlegt, obwohl diese nach der in Rn. 36 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ausschließlich den Inhaber dieser Marke trifft.
Tenor des EuGH zum Urteil vom 10.03.2022, C-183/21:
Art. 19 der Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass er einer Verfahrensregel eines Mitgliedstaats entgegensteht, die in einem Verfahren über den Antrag auf Erklärung des Verfalls einer Marke wegen Nichtbenutzung die klagende Partei verpflichtet, eine Recherche am Markt über die mögliche Benutzung dieser Marke durch ihren Inhaber vorzunehmen und hierzu, soweit möglich, zur Stützung ihrer Klage substantiiert vorzutragen.
Folgen für die Praxis:
Die Beweislast der ernsthaften Benutzung im Löschungs- bzw. Verfallsverfahren obliegt grundsätzlich sowohl im EU-Recht als auch im Deutschen Recht dem Markeninhaber.
Die Verfahrensregel des deutschen Zivilrechts, wonach grundsätzlich der Kläger seine Klage substantiieren muss, findet dort seine Grenze, wo es nach Unionsrecht Sache des Markeninhabers ist, Beweis für eine hinreichende Markenbenutzung zu erbringen.
Für die klagende Partei bedeutet dies jedoch nicht, dass sie von der Obliegenheit, den ihrer Klage zugrunde liegenden Sachverhalt umfassend darzulegen, entbunden ist. Im zivilrechtlichen Löschungsverfahren ist dies aber stets nur bis zu einem bestimmten Grad möglich.
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Gracia-Regina Blumenröhr
Legal Counsel