Bösgläubigkeit bei Neuanmeldung einer bereits verfallenen Marke?
Ist es möglich, dass eine alte Marke, die nicht mehr geschützt ist, von einem neuen Inhaber angemeldet wird und kann diesem dann Bösgläubigkeit vorgeworfen werden?
Auf diese Frage hat das EuG am 6. Juli 2022 in der Rechtssache T-250/21 Ladislav Zdút gegen EUIPO/Nehera geantwortet.
Sachverhalt
2013 meldete Herr Zdút beim EUIPO die EU-Marke für das folgendes Zeichen an: Nehera
2014 wurde die Marke für Waren der Klasse 18, 24 und 25 (Lederwaren, Bekleidung, Decken) eingetragen.
2019 stellten die Erben des Herrn Nehera, gemäß Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2017/1001 einen Antrag auf Nichtigerklärung dieser Marke für alle von ihr erfassten Waren.
Sie machten geltend, dass der Kläger bösgläubig gewesen sei, als er die angefochtene Marke angemeldet habe, da ihr Großvater, Herr Nehera, in den 1930er Jahren in der Tschechoslowakei ein Unternehmen für den Vertrieb von Bekleidungsstücken und Accessoires gegründet und eine mit der angefochtenen Marke identische nationale Marke angemeldet und benutzt habe.
Die Nichtigkeitsabteilung des EUIPO wies den Antrag auf Nichtigerklärung mit der Begründung zurück, dass die Bösgläubigkeit des Antragstellers bei der Anmeldung der angefochtenen Marke nicht nachgewiesen worden sei.
Die Klägerinnen legten beim EUIPO Beschwerde gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung ein.
Mit der angefochtenen Entscheidung gab die Zweite Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde der Streithelferinnen statt, hob die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung auf und erklärte die angefochtene Marke für nichtig.
Gegen diese Entscheidung wurde Berufung vor dem EuG eingelegt und Aufhebung der Entscheidung nach Art. 263 AEUV beantragt.
Entscheidung des EuG
Gemäß Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2017/1001 wird eine Unionsmarke auf Antrag beim EUIPO oder auf Widerklage im Verletzungsverfahren für nichtig erklärt, wenn der Anmelder bei der Anmeldung dieser Marke bösgläubig war.
Der im vorliegenden Fall markenrechtlich zu verstehende Begriff der Bösgläubigkeit ist in den Rechtsvorschriften in keiner Weise definiert, abgegrenzt oder auch nur beschrieben (vgl. Urteil vom 29. Juni 2017, Cipriani/EUIPO – Hotel Cipriani, T-343/14),
Der Gerichtshof und das Gericht haben allerdings einige Hinweise dazu gegeben, wie der Begriff der Bösgläubigkeit im Sinne des Markenrechts auszulegen und deren Vorliegen zu beurteilen ist. Bösgläubig handelt demnach, wenn sich aus schlüssigen und übereinstimmenden Indizien ergibt, dass der Inhaber einer Marke die Anmeldung nicht mit dem Ziel eingereicht hat, sich in lauterer Weise am Wettbewerb zu beteiligen, sondern mit der Absicht, in einer den anständigen Gepflogenheiten widersprechenden Weise Drittinteressen zu schaden, oder mit der Absicht, sich ohne Bezug zu einem konkreten Dritten ein ausschließliches Recht zu anderen als den zur Funktion einer Marke gehörenden Zwecken zu verschaffen (Urteile vom 12. September 2019, Koton Mağazacilik Tekstil Sanayi ve Ticaret/EUIPO, C-104/18).
Anhaltspunkte hierfür sind:
- Wenn der Anmelder zum Zeitpunkt der Anmeldung weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in mindestens einem Mitgliedstaat ein gleiches oder ähnliches Zeichen für eine gleiche oder mit dem angemeldeten Zeichen verwechselbar ähnliche Ware oder Dienstleistung verwendet
- Wenn die Absicht des Anmelders besteht, diesen Dritten an der weiteren Benutzung eines solchen Zeichens zu hindern.
- Der Grad des rechtlichen Schutzes, den das Zeichen des Dritten und das angemeldete Zeichen genießen (Urteil vom 11. Juni 2009, Chocoladefabriken Lindt & Sprüngli, C-529/07).
- Herkunft und Verwendung des älteren Zeichens
- Unternehmerische Logik, Geschehensabfolge bei der Anmeldung
- Die Absicht, die Wertschätzung eines älteren Zeichens oder Namens in unlauterer Weise auszunutzen.
Es ist Sache desjenigen, der den Antrag auf Nichtigerklärung stellt, die Umstände darzutun, die auf eine bösgläubige Anmeldung schließen lassen, wobei – bis zum Beweis des Gegenteils – Gutgläubigkeit vermutet wird (Urteil vom 13. Dezember 2012, pelicantravel.com/HABM – Pelikan [Pelikan], T-136/11).
Im vorliegenden Fall reicht, nach der Rechtsprechung, der erweckte Eindruck einer Verbindung zwischen einem jüngerem und einem älteren Zeichen bei den maßgeblichen Verkehrskreisen allein nicht aus, um die Feststellung zu stützen, dass der Ruf des Zeichens oder des früheren Namens in unlauterer Weise ausgenutzt wurde.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der unlauteren Ausnutzung des Rufes eines Zeichens oder eines Namens eine Situation erfasst, in der ein Dritter quasi als Trittbrettfahrer von der Anziehungskraft, Ruf und Ansehen zu profitieren versucht und ohne finanzielle Gegenleistung und ohne, dass er dafür eigene Anstrengungen unternehmen müsste, die Anstrengungen auszunutzen, die der Inhaber dieses Zeichens unternommen hat, um ein entsprechendes Image zu schaffen.
Im vorliegenden Fall macht der Kläger jedoch geltend, dass die ehemalige tschechoslowakische Marke und der Name von Herrn Jan Nehera im Jahr 2013 bei den maßgeblichen Verkehrskreisen völlig in Vergessenheit geraten seien und dass er selbst erhebliche kommerzielle Anstrengungen, Zeit und Geld aufgewendet habe, um die Marke Nehera wiederzubeleben, also sich demnach nicht parasitär verhalten hat. Unter diesen Umständen verstößt die bloße Bezugnahme auf das historische Bild von Herrn Nehera und der früheren tschechoslowakischen Marke zum Zwecke der Werbung für die angefochtene Marke nicht gegen die anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel.
Zum anderen genossen die ehemalige tschechoslowakische Marke und der Name von Herrn Nehera zum Zeitpunkt der Anmeldung der angefochtenen Marke jedenfalls keinen Rechtsschutz zugunsten Dritter mehr. Daraus folgt, dass die Nachkommen und Erben von Herrn Nehera keine Rechte besaßen, die von der Klägerin missbraucht oder usurpiert werden konnten. Es ist daher nicht ersichtlich, dass die Klägerin mit der Anmeldung der angefochtenen Marke die Absicht hatte, die Nachkommen von Herrn Nehera zu betrügen oder deren angebliche Rechte an sich zu reißen.
Nach alledem hat die Beschwerdekammer zu Unrecht festgestellt, dass der Kläger die Absicht hatte, den Ruf von Herrn Nehera und der ehemaligen tschechoslowakischen Marke in unlauterer Weise auszunutzen, und dass er bei der Anmeldung der angefochtenen Marke bösgläubig gehandelt hat.
Unter diesen Umständen war mangels einer Restbekanntheit der älteren Marke und aktuellen Berühmtheit des Namens Nehera zum Zeitpunkt der Anmeldung der angegriffenen Marke die spätere Benutzung dieser Marke durch den Kläger grundsätzlich nicht geeignet, ein parasitäres Verhalten darzustellen, das die Bösgläubigkeit des Klägers offenbarte.
Diese Schlussfolgerung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger Kenntnis von der Existenz und der früheren Bekanntheit von Herrn Jan Nehera und der älteren tschechoslowakischen Marke hatte. Der bloße Umstand, dass der Markenanmelder weiß oder wissen muss, dass ein Dritter in der Vergangenheit eine mit der angemeldeten Marke identische oder ähnliche Marke benutzt hat, genügt nämlich nicht für die Bejahung der Bösgläubigkeit dieses Anmelders.
Aber, so stellt das Gericht auch klar: Es ist zu beachten, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass unter bestimmten besonderen Umständen die Wiederverwendung einer älteren, ehemals bekannten Marke oder des Namens einer ehemals berühmten Person durch einen Dritten ein falscher Eindruck der Kontinuität oder der Vererbung in Bezug auf diese ältere Marke oder diese Person vermittelt werden kann. Dies könnte insbesondere dann der Fall sein, wenn sich der Markenanmelder bei den maßgeblichen Verkehrskreisen als rechtlicher oder wirtschaftlicher Nachfolger des Inhabers der älteren Marke ausgibt, obwohl zwischen dem Inhaber der älteren Marke und dem Markenanmelder kein Kontinuitäts- oder Erbschaftsverhältnis besteht. Ein solcher Umstand könnte berücksichtigt werden, um gegebenenfalls die Bösgläubigkeit des Markenanmelders zu bejahen und folglich auf der Grundlage von Art. 52 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 jetzt Art. 59 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 die Nichtigkeit der neuen Marke festzustellen.
Tenor des EuG zum Urteil vom 6.07.2022, T-250/21
Der Begriff der Bösgläubigkeit setzt eine unredliche Geisteshaltung oder Absicht im markenrechtlichen Kontext bzw. Geschäftsleben voraus. Hierbei maßgeblich ist die Absicht, die Wertschätzung eines älteren Zeichens oder Namens in unlauterer Weise auszunutzen und parasitär von Anziehungskraft, Ruf und Ansehen des älteren Zeichens zu profitieren, ohne dafür eigene Anstrengungen unternehmen zu wollen.
Folgen für die Praxis
Das Urteil verfestigt den Umgang mit dem Vorwurf der Bösgläubigkeit. Die Rechtsvorschriften über die Unionsmarke verbieten nicht grundsätzlich eine wiederholte Anmeldung einer Marke und eine solche begründet auch per se noch keine Bösgläubigkeit. Bei einer wiederholten Anmeldung einer bereits erloschenen älteren Marke ist allerdings tunlichst zu vermeiden, dass dem Anmelder der Vorwurf der Bösgläubigkeit entgegengehalten werden kann. Sowohl Anknüpfen an, als auch in unlauterer Weise Ausnutzen einer gewissen Restbekanntheit dieses Zeichens verbieten sich. Eigene Anstrengung müssen erbracht werden, um dem Vorwurf eines parasitären Verhaltens standzuhalten und die Nichtigkeit der Marke zu verhindern.
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Textquelle: Urteil des EuG vom 6.07.2022, T-250/21
Bildquelle: nehera
Gracia-Regina Blumenröhr
Legal Counsel