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Klasse ist nicht gleich Klasse: System und Logik der Nizzaer Klassifikation entscheiden

Juni 2023

Im Markenvergleich oder für den Benutzungsnachweis einer Marke kann es entscheidend sein, in welcher Klasse der Nizzaer Klassifikation die entsprechenden Waren eingeordnet werden.

class 06, class 07 and class 17 in letters
Sachverhalt

2011 meldet die Klägerin Wenz Kunststoff GmbH & Co. KG beim EUIPO eine Unionsmarke für die Wortmarke MOULDPRO für folgende Waren an:

  • Klasse 7: „Schnellverschlusskupplungen für Schläuche, Schlauchanschlusskupplungen“;
  • Klasse 17: „Schlauchkupplungen aus Kunststoff (enthalten in Klasse 17), Schläuche“.

Das EUIPO beanstandet die Anmeldung und beantragt, die Klägerin möge die „Schnellkupplungen für Schläuche“ und „Schlauchanschlusskupplungen“, die in Klasse 7 enthalten sind, in Klasse 17 umklassifizieren. Daraufhin stellt die Klägerin einen entsprechenden Antrag auf Umklassifizierung. Alle Waren der Klägerin für die Marke MOULDPRO befinden sich nun in Klasse 17.

2018 stellt die Streithelferin, die Mouldpro ApS, einen Antrag auf Erklärung des Verfalls dieser Marke gemäß Art. 58 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 2017/1001 mit der Begründung, dass diese Marke nicht innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in der EU für alle Waren, für die sie eingetragen sei, ernsthaft benutzt worden sei.

Sowohl die Nichtigkeitsabteilung als auch die Beschwerdekammer des EUIPO geben dem Antrag auf Erklärung des Verfalls statt und erklären die angefochtene Marke für alle streitigen Waren für nichtig mit der Begründung, dass die Klägerin die ernsthafte Benutzung der angegriffenen Marke für die fraglichen Waren nicht nachgewiesen habe, da diese Marke nicht für Metallwaren gelte. Die Beschwerdekammer stellt fest, dass die von der Klägerin vorgelegten Nachweise nur eine gewisse Benutzung in Bezug auf Kupplungen/Armaturen für Schläuche belege, die ausschließlich aus Metall bestünden. Ein anderer Teil der Nachweise beziehe sich zwar auf nichtmetallische Schläuche, enthalte aber keinen Hinweis auf den Umfang dieser Benutzung.

Die Klägerin ruft daraufhin das EuG an und stützt ihre Klage im Wesentlichen auf folgende Argumente:

  • Fehlerhafte Auslegung des Warenverzeichnisses der Klasse 17
  • Nicht hinreichende Berücksichtigung des Grundsatz des Vertrauensschutzes 
Entscheidung des EuG

Die Klägerin macht eine fehlerhafte Auslegung des Warenverzeichnisses der Klasse 17 insoweit geltend, als die Abteilung des EUIPO sie falsch dahingehend ausgelegt habe, dass keine dieser Waren aus metallischen Werkstoffen bestehen könne, nur weil sie zu dieser Klasse gehöre.

Insbesondere „Schnellverschlusskupplungen für Schläuche“ und „Schlauchanschlusskupplungen“ seien durch ihre Funktion und nicht durch das Material, aus dem sie bestünden, gekennzeichnet, was durch ihre Einordnung in Klasse 17 nicht in Frage gestellt werden könne. Diese Waren könnten daher aus verschiedenen Materialien, auch aus metallischen, hergestellt sein.

Das Gericht der EU urteilt wie folgt:

Zunächst sei über die Rolle und die Bedeutung der Einreihung dieser Waren in eine bestimmte Klasse der Nizzaer Klassifikation zu entscheiden.

Es treffe grundsätzlich zu, dass die Einteilung der Waren und Dienstleistungen in der Nizzaer Klassifikation rein administrativen Charakter habe. Insbesondere aber dann, wenn die Beschreibung der Waren so allgemein gehalten sei, dass sie sehr unterschiedliche Waren erfassen könne, sei es möglich, für die Auslegung auch die Klassifikation zu berücksichtigen. Jede Klasse sei durch allgemeine Bezeichnungen ausgewiesen, die nach dem Leitfaden der Nizzaer Klassifikation als „Klassenüberschriften“ bezeichnet werden und in allgemeiner Form die Bereiche angeben, zu denen die Produkte der betreffenden Klasse grundsätzlich gehörten.

Auch aus der Rechtsprechung ergebe sich, dass die von der angefochtenen Marke erfassten Waren unter systematischen Gesichtspunkten auszulegen seien, wobei die der Nizzaer Klassifikation innewohnende Logik und Systematik zu beachten sei und die genannten Beschreibungen und Erläuterungen zu berücksichtigen seien, die für die Bestimmung der Art der fraglichen Waren von Bedeutung sind.

Daraus folge, dass die Prüfung zur Bestimmung der fraglichen Waren sich nicht auf den buchstäblichen Sinn dieser Bezeichnungen beschränken dürfe, sondern dass auch die Klassifizierung der Waren berücksichtigt werden müsse. 

Folglich habe die Beschwerdekammer die Bedeutung der fraglichen Waren zu Recht im Hinblick auf die Klasse, in die sie eingereiht wurden, ausgelegt.

Die Auslegung der fraglichen Waren sei folglich im Hinblick auf ihre Einordnung in Klasse 17 unter Berücksichtigung ihrer Stellung im System der Nizzaer Klassifikation zu bestimmen. Nach den Allgemeinen Bemerkungen zur Nizzaer Klassifikation seien die Waren grundsätzlich nach ihrer Funktion oder ihrem Verwendungszweck eingeteilt. Waren, die sich nicht auf diese Weise klassifizieren lassen, würden jedoch nach anderen Kriterien, wie z. B. dem Material, aus dem sie bestehen, eingeteilt.

So besage zum Beispiel die Überschrift der Klasse 17, dass diese Überschrift Materialien aus „Kautschuk, Guttapercha, Gummi, Asbest, Glimmer und Waren aus diesen Stoffen, soweit sie nicht in anderen Klassen enthalten sind; Kunststoffe in extrudierter Form zur Verwendung bei der Herstellung; Verpackungs-, Verschluss- und Isoliermaterial; biegsame Rohre, nicht aus Metall“ umfasse. Zudem heiße es in ihrer Erläuterung, dass Klasse 17 „hauptsächlich elektrische, thermische und akustische Isolierstoffe sowie Kunststoffe zur Verwendung bei der Herstellung in Form von Platten, Blöcken und Stäben“, also nur Waren aus nichtmetallischen Werkstoffen, nämlich: Kunststoffe, unbearbeitet, halbbearbeitet beinhalte. Die Einteilung der Klasse 17 erfolge also nach Material

Zum anderen wies das EuG darauf hin, dass Metallwaren, die nicht nach ihrer Funktion oder ihrem Verwendungszweck in Klassen 17 eingeordnet werden könnten, in Klasse 6 eingereiht würden. Dementsprechend sei der Schutzumfang der Waren in Klasse 17 auch auf nichtmetallische Werkstoffe beschränkt. 

Zum zweiten Teil des Vortrags der Klägerin, dass die ursprüngliche Anmeldung nach den Prinzipien des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen sei, stellt das EuG klar, dass Waren und Dienstleistungen grundsätzlich so klar und genau bezeichnet sein müssten, dass die zuständigen Behörden und auch die übrigen Wirtschaftsteilnehmer allein auf Grundlage des Warenverzeichnisses den Umfang des gewährten Schutzes bestimmen können. Dies sei allein Sache der Klägerin.

Das von der Klägerin in ihrem ursprünglichen Antrag angegebene Warenverzeichnis sei daher für die Auslegung der Waren, für die diese Marke jetzt eingetragen ist, unerheblich

Das Schreiben des EUIPO zur Umklassifizierung des Waren sei lediglich eine vorläufige Beanstandung der Anmeldung der angefochtenen Marke gewesen, der die Klägerin hätte widersprechen oder eine Neuklassifizierung vorschlagen können. Die Klägerin habe jedoch die Umklassifizierung selbst vorgenommen.

Grundsätzlich könne sich eine Person nur dann auf eine Verletzung dieses Grundsatzes berufen, wenn sie von einer zuständigen Behörde genaue, unbedingte und kohärente Zusicherungen erhalten habe. Eine solche Zusicherung liege hier nicht vor. Es bestehe vielmehr beim Markeninhaber und den anderen Marktteilnehmern ein berechtigtes Vertrauen darauf, dass die Marke nur für diese Waren geschützt werde, für die sie eingetragen ist.

Tenor des Verfassers

Nach den Allgemeinen Bemerkungen zur Nizzaer Klassifikation werden Waren grundsätzlich nach ihrer Funktion oder ihrem Verwendungszweck eingeteilt. Waren, die sich nicht auf diese Weise klassifizieren lassen, werden jedoch gemäß der Logik und Systematik sowie den dort genannten Beschreibungen und Erläuterungen der Nizzaer Klassifikation nach anderen Kriterien, wie z. B. dem Material, aus dem sie bestehen, eingeteilt.

Grundsätzlich kann sich eine Person nur dann auf eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes berufen, wenn diese von einer zuständigen Behörde genaue, unbedingte und kohärente Zusicherungen erhalten habe.

Folgen für die Praxis

Die Auswahl der Klassen insbesondere für weit gefasste Waren oder Dienstleistungen muss sorgfältig unter Berücksichtigung des Systems und der Logik der Nizzaer Klassifikation und der dort aufgeführten Überschriften und Erläuterungen erfolgen. Eine unbedachte Einordnung kann zu Missverständnissen und fatalen Folgen bei der Kollision, Verteidigung und Durchsetzung von Marken mit einem dann nicht lieferbaren Benutzungsnachweis führen.

Quelle: Urteil des EuG vom 26.4.2023 in der Rechtssache T-794/21
Bild: Regina Blumenröhr

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